Wirtschaft

„Beckenbauer war auch mal ein erfolgreicher Fußballer“

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Beim Tag der Industrie rechnet der BDI mit der großen Koalition ab. Doch das will die Kanzlerin nicht auf sich sitzen lassen – und antwortet auf ihre Art.

„Ich könnte jetzt hier aufzählen, wo die Autoindustrie überall Vertrauen verspielt hat.” Tat Angela Merkel dann aber doch nicht.

Fast hätte man meinen können, die Bundeskanzlerin hätte ihre Rede noch nicht zu Ende geschrieben. Gerade hatte Angela Merkel (CDU) beim vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) veranstalteten Tag der Industrie in der ersten Reihe Platz genommen und sollte eigentlich nun den Worten des BDI-Präsidenten Dieter Kempf lauschen. Doch stattdessen öffnete sie immer wieder den Block, in dem ihr Redemanuskript lag, und kritzelte etwas hinein. Hier eine Notiz, da etwas durchgestrichen. Gegen Ende von Kempfs Rede schien sie schließlich zufrieden zu sein, klappte den Block zu und wartete, bis endlich sie aufs Podium durfte im Funkhaus in Treptow.

Ihre Ungeduld schien verständlich, denn bis dahin hatte sie sich von Kempf einiges anhören müssen. „Es ist kein klarer wirtschaftspolitischer Kurs in der Politik der Bundesregierung zu erkennen“, warf der BDI-Präsident der Kanzlerin vor. Die Regierung verwalte lediglich den Ist-Zustand, der Blick in den Rückspiegel habe aber noch niemandem geholfen. Kempf beklagte ein „mutloses Abarbeiten kleinteiliger Politikfelder und ein ungesundes Maß an Umverteilung“.

Beispiel Klimaschutz: Die Unternehmen, so Kempf warteten händeringend auf Entscheidungen der Bundesregierung. An jede Maßnahme müsse ein Preisschild. „Denn für viele Unternehmen sind höhere Strompreise existenzbedrohend“, warnte Kempf. Für einen von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) vor genau einem Jahr versprochenen Strompreisgipfel gebe es noch nicht einmal einen Termin. Die Bundesregierung halte es hier offenbar mit Franz Beckenbauer: „Schau’n wir mal, dann sehen wir schon.“

Und auch für Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) hatte Kempf noch einen Seitenhieb parat. Ihre „kompromisslose Rhetorik“ würde vielleicht in ihrer Community Beifall finden, in einer repräsentativen Demokratie brauche es aber mehr als das.

Generalabrechnung mit der großen Koalition

Für Sätze wie diese konnte sich wiederum Kempf seinerseits des Beifalls seines Publikums sicher sein. Zwar verkniff er sich den in seinem Redemanuskript enthaltenen Satz „Die Regierungspolitik schadet den Unternehmen“, und die ein oder andere Randbemerkung ließ darauf schließen, dass er die Fortsetzung der großen Koalition immer noch lieber hat als Neuwahlen. Doch auch so endete seine Rede als eine Art Generalabrechnung mit den ersten rund 14 Monaten der großen Koalition. „Die wirtschaftliche Lage wird zunehmend zum Risiko, viele Probleme sind hausgemacht“, warf er der Kanzlerin entgegen. „Die Regierung hat einen großen Teil des in sie gesetzten Vertrauens verspielt.“

Das nun war Merkels Stichwort. Und schon an ihren ersten Worten merkte man, dass ihre Notizen keineswegs ein Zeichen von Ablenkung waren, sondern dass sie mit ihnen exakt auf die von Kempf erhobenen Vorwürfe eingehen wollte. Das tat sie offensiv und gewürzt mit einer guten Portion Ironie. Angesichts der „kempferischen Rede“ – ein Wortspiel mit dem Namen des BDI-Präsidenten, das ihr sichtlich Freude bereitete – erklärte die Kanzlerin den Tag der Industrie gleich zu Beginn kurzerhand zum Tag der offenen Aussprache.

Denn den Vorwurf des Vertrauensverlustes wollte sie nicht auf sich sitzen lassen. „Ich könnte jetzt hier aufzählen, wo die Autoindustrie überall Vertrauen verspielt hat“, sagte Merkel, tat das dann aber doch nicht, sondern erinnerte nur daran, dass nicht nur die Politik verantwortlich dafür ist, dass die Bürger an die soziale Marktwirtschaft glauben. „Vertrauen in die Bundesregierung ist wichtig, Vertrauen in die Wirtschaft aber ebenso.“

Bundeskanzlerin Merkel und BDI-Präsident Kempf. Beide lobten ihren Schlagabtausch anschließend.

Trotz der offenen Konfrontation hatte Merkel, die mit stehenden Ovationen begrüßt worden war, das Publikum schnell auf ihrer Seite, erntete einige Lacher, oft Szenenapplaus. „Franz Beckenbauer war auch mal ein ganz erfolgreicher Fußballer“, scherzte sie. „Aber in der Tat, irgendwann muss man auch mal ein Tor schießen.“ Das tut die Bundesregierung aus ihrer Sicht aber auch. In dieser Woche etwa werde das Fachkräfteeinwanderungsgesetz im Parlament verabschiedet. Tor! Fand dem Beifall nach zu schließen auch das Publikum.

Deutschland teilweise „hoffnungslos zurück“

In der Tat erfüllt Merkel damit zumindest eine der Hauptforderungen, die seit Monaten aus der Industrie kommen. Zudem verwies sie auf die Einführung der steuerlichen Forschungsförderung, Milliardeninvestitionen in KI-Forschung und den Digitalpakt für Schulen. Dass das allerdings kaum ausreichen wird, die deutsche Wirtschaft ins digitale Zeitalter zu führen, ist auch der Kanzlerin klar. Ungewöhnlich offen attestiert sie: „Bei den Themen Plattformwirtschaft und Datenaustausch sind wir hoffnungslos zurück.“ Der deutsche Mittelstand sei nicht in der Lage, Daten so zu speichern und zu verknüpfen wie es für die digitale Wirtschaft nötig sei. Merkel packte beide Begriffe in ein Wort: „Wir werden nur mit einer Plattformdatenwirtschaft wettbewerbsfähig bleiben.“

Was am Tag er Industrie natürlich auch nicht fehlen durfte war die Nationale Industriestrategie von Peter Altmaier. „Nur weil in einem Konzept mal nicht der Mittelstand im Mittelpunkt steht, heißt das doch nicht, dass wir den Mittelstand nicht mehr achten“, sagte Merkel und forderte einmal mehr, das EU-Wettbewerbsrecht zu ändern. Sie halte es für „kühn“, anzunehmen, dass chinesische Unternehmen keine Gefahr für europäische Firmen darstellen würden, nur weil sie aktuell noch nicht im Ausland vertreten seien. Das könne in zehn Jahren ganz anders aussehen. Mit diesem Argument war der Zusammenschluss der Zugsparte von Siemens mit Alstom verboten worden.

Altmaier beansprucht das Hausrecht für sich

Doch auch der Wirtschaftsminister selbst war vor Ort. Und man merkte seiner Rede an, dass er sich nach der Kritik an seiner Industriestrategie vorgenommen hatte, zu demonstrieren, dass er auf der Seite der Wirtschaft steht. Er streute Phrasen ein wie „Meine Vorschläge, die die Ihren sind“ oder befand, dass die Positionen in einem BDI-Antwortpapier auf seine Industriestrategie mit seinen „genau übereinstimmen“. Vielleicht, schlug er vor, könne man Klimaschutz ja auch mal mit Entlastungen statt nur mit Belastungen erreichen. Konkret nannte er die steuerliche Förderung von Gebäudesanierungen.

Die Soli-Abbaupläne von Bundesfinanzminister Olaf Scholz – ein Dauerkritikpunkt der Industrie – brandmarkte Altmaier hingegen als „verdeckte Erhöhung der Einkommensteuer“. Unter lautem Applaus appellierte er an den Vizekanzler, die Pläne zu überdenken. Scholz war währenddessen noch gar nicht im Saal, sondern ließ sich vor der BDI-Fotowand ablichten. Als er schließlich den Raum betrat, fühlte sich Altmaier schon so wohl, dass er glatt das Hausrecht für sich beanspruchte und Scholz „im Namen der Gastgeber“ willkommen hieß.

Scholz hingegen wählte eine etwas andere Strategie. Er schien den Industrievertretern nicht entgegenkommen zu wollen. „Die liebste Beschäftigung der Kaufleute ist Nörgeln“, piesackte er seine Zuhörer und schmetterte auch eine der dringlichsten Forderungen der Industrie ab. Deutliche Steuersenkungen für Unternehmen werde es in absehbarer Zeit nicht geben.

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