Politik

Jetzt haben die Brexit-Briten auch noch einen Dachschaden

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Premierministerin trifft Oppositionschef Corbyn zu zweiter Verhandlungsrunde

Vom Regen in die Traufe! Als wäre das ganze Brexit-Drama nicht schon schlimm genug, offenbart sich jetzt auch noch ein Dachschaden im „House of Commons“, dem britischen Unterhaus.

Donnerstagnachmittag musste eine Sitzung unterbrochen werden, weil es durch das Dach hereinregnete. Bedeutet: Die Beratungen über mögliche neue Brexit-Pläne im Parlament sind erst mal vertagt!

Mehrere Abgeordnete spielten bei Twitter am Donnerstag auf das Brexit-Dilemma an: „Ich höre, wie der Regen durch das Dach tropft. Das Parlament ist wirklich zerbrochen“, schrieb der Labour-Abgeordnete Justin Madders. Und die Tory-Abgeordnete Julia Lopez fragte: „Ist das die Sintflut, die uns alle wegspülen wird?“

The Commons Chamber has a new water feature! I've never been in a debate before where rain stopped play but it has happened now! pic.twitter.com/Wa3INXSR9a

— Neil O'Brien MP (@NeilDotObrien) April 4, 2019

Das Parlament in London ist marode und muss komplett saniert werden: Zahlreiche Fenster im Parlament schließen nicht richtig. Die veraltete Heizung läuft das ganze Jahr, weil man fürchtet, sie ansonsten nie wieder starten zu können. Von den Decken bröckeln hin und wieder Teile herunter. Viele Mäuse huschen durch das alte Gebäude.

Not the first time there has been a leak in Parliament I’m sure 😜 pic.twitter.com/ZcokXjtrxv

— 𝗥𝗼𝘀𝘀 𝗧𝗵𝗼𝗺𝘀𝗼𝗻 𝗠𝗣 (@RossThomson_MP) April 4, 2019

Unterdessen hat Premier May keine Zeit für Witzchen – sie braucht den alles entscheidenden Last-Minute-Deal!

Premierministerin trifft Oppositionschef Corbyn zu zweiter Verhandlungsrunde

Nächste Runde der Suche nach einem Ausweg aus dem Brexit-Chaos! Premierministerin Theresa May (62) sucht händeringend einen Kompromiss, trifft sich dazu heute erneut mit Oppositionschef Jeremy Corbyn (69).

Dringend gesucht: eine Last-Minute-Lösung, um doch noch einen geregelten Brexit hinzukriegen! Die Stimmung in London: angespannt.

Für Theresa Mays seelisches Gleichgewicht kann man nur hoffen, dass sie in diesen Tagen, in denen die Brexit-Uhr tickt und der Abgrund in Sichtweite rückt, nicht mehr zum Zeitungslesen kommt.

Heute müsste die britische Premierministerin etwa der „Sun“ entnehmen, dass sich „die Lippen kräuseln werden“, wenn in den nächsten Jahrzehnten ihr Name fällt, der dann „in grünen Rotz-Kugeln auf den Boden gespuckt wird“. Sie werde als „Aal“ und „Verräterin“ in die Geschichte eingehen – und verdiene genau das. Ergänzt durch Adjektive, die nicht druckbar seien.

  • Wegen Treffen mit Labour-Chef

    „Wütende Revolte“ gegen May

    Das britische Unterhaus hat am Mittwoch ein Gesetz gebilligt, das die Regierung zu einem weiteren Brexit-Aufschub verpflichten soll.

Auslöser des Wutschaums von Autor Quentin Letts: Die britische Premierministerin hat sich am Mittwoch erlaubt, mit dem Chef der Labour-Opposition zu reden, um einen Ausweg aus dem Jahrhundert-Schlamassel zu finden – nachdem ihr die eigene Partei dreimal die Gefolgschaft versagt hatte.

„Verrat“, weil die Regierungschefin auf den politischen Gegner zugeht, sie nach fast drei Jahren Funkstille endlich (heute zweite Runde) an einem Tisch mit ihm Platz nimmt? Weil sie endlich ihren Job macht und einen Kompromiss anstrebt – und ausnahmsweise nicht das, was die „Sun“ glaubt, ihr vorschreiben zu können?

„Verrat“, das ist auch der Standard-Vorwurf, den sich Abgeordnete gefallen lassen müssen, wenn sie sich für einen Verbleib in der EU oder für ein zweites Referendum aussprechen. Angeblicher Verrat am Willen des Volkes, von dem inzwischen selbst der glühendste Brexit-Verfechter zugeben muss, dass er durch eine perfide und undurchsichtig finanzierte Lügen-Kampagne (u.a. durch „Dark Ads“ bei Facebook) beeinflusst worden war.

May hat das Chaos angerichtet

Aber bevor Sie jetzt Mitleid kriegen mit Theresa May: Sie war es, die ohne Not und aus purem Machtkalkül vorzeitige Neu-Wahlen ausgerufen hat, bei denen sie die Quittung für einen grotesk-schlechten Wahlkampf einfuhr.

Mit dem Ergebnis, dass eine nordirische Zwerg-Partei mit gerade mal zehn Unterhaus-Abgeordneten jeden, aber auch wirklich jeden Lösungsansatz sabotieren konnte, angefangen beim Sonderstatus für Nordirland für freien Waren- und Personenverkehr mit Irland, auf dessen Basis die Brexit-Einigung ein Kinderspiel geworden wäre.

Nach allen ungeschriebenen politischen Anstandsregeln hätte May auch längst zurücktreten oder ihren Weg in einem zweiten Referendum zur Wahl stellen müssen. Jetzt ist es dafür aus Sicht der meisten Briten zu spät – weil der Preis dafür die Teilnahme an den Europawahlen Ende Mai und eine langfristige Brexit-Verschiebung wäre, bei der das ganze Elend von vorne beginnen würde.

Warum wir trotzdem auf May hoffen müssen

Die Frage, wem man aus deutscher Sicht die Daumen drücken sollte, ist bei allem Wirrwarr nicht besonders schwer.

Jedenfalls dann, wenn man den Briten keine Strafe für die Unfähigkeit zur Entscheidung wünscht: Diejenigen verdienen Unterstützung, die bis zur letzten Sekunde versuchen, einen Kompromiss zu finden, der einen offenen Bruch zwischen den Briten und uns Kontinentaleuropäern verhindert.

Und dies nicht etwa, weil dann irgendwelche Drops und Kekse teurer werden würden, sondern weil damit alle Brücken eingerissen würden, die wohlmeinende Menschen auf beiden Seiten des Ärmelkanals seit Tag eins nach dem Referendum zu bauen versucht haben.

Letzte Chance für einen Deal?

Dass Jeremy Corbyn in diesem Club neu ist und seine Skandalliste lang – und dass May als Auslaufmodell in Sachen Autorität und Glaubwürdigkeit gilt, darf dabei keine Rolle spielen. May und Corbyn versuchen heute erneut, eine parteiübergreifende Linie zu finden, die beiden Seiten das Gesicht wahrt. Im Gespräch ist etwa der Verbleib Großbritanniens in einer Zollunion mit der EU. Als inoffizielle Deadline der Verhandlungen gilt Freitagnacht.

Die Chance mag klein sein, aber es könnte die letzte sein.

Es sei denn, das Ergebnis des Gesprächs fällt so inakzeptabel aus für die Gegner von Mays EU-Abkommen, dass sie sich doch noch hinter die ungeliebte „Deal“-Lösung stellen. Sie braucht inzwischen „nur noch“ etwa 30 Überläufer im Parlament. Abstimmungen sind für die kommenden Tage allerdings nicht geplant.

„Als würde die Titanic-Crew den Eisberg verbieten“

Ob hingegen das Gesetz zum neuerlichen Brexit-Aufschub, das gerade im Rekordtempo durch Unter- und Oberhaus gepeitscht werden soll, wirklich mehr nützt oder am Ende mehr schadet, muss sich erst noch zeigen. Eine überparteiliche Gruppe von Abgeordneten will damit verhindern, dass es zu einem Ausscheiden des Landes aus der EU ohne Vertrag kommt.

Das sorgt für reichlich Hohn: „Es ist, als ob die Titanic-Besetzung mehrheitlich beschließen würde, dass der Eisberg nun wirklich aus dem Weg gehen müsse“, lästerte ein Kommentator.

Immerhin: Der Antrag stammt von der oppositionellen Labour-Abgeordneten Yvette Cooper. Möglicherweise ist das der Anfang eines Prozesses, den man in funktionierenden Parlamenten Zusammenraufen nennt.

• Scheitert eine Einigung – und nur dann – wäre aus Sicht der übrigen 27 Länder ein Verbleib der Briten in der EU wenig wünschenswert. Denn die britische Selbstfindungs-Krise hat das Zeug, die Union auf Jahre zu lähmen.

• Umgekehrt hindert ein Austritt beide Seiten nicht daran, sich nach einem geordneten Brexit wieder anzunähern – oder neu zusammenfinden.

Und wenn am 12. April doch nur der Chaos-Brexit bleibt? Es wäre das größte politische Versagen der Nachkriegsgeschichte, begleitet vom Triumphgeheul all jener Brextremisten, die in Kauf nehmen, dass ihr Land in die Krise stürzt, solange London nur nicht mehr die vereinbarte Schlusszahlung von 43 Milliarden Euro für offene Verpflichtungen nach Brüssel überweisen muss.

Eine Milchmädchenrechnung: Gerade ergab eine Studie, dass das Vereinigte Königreich seit der Brexit-Volksabstimmung Mitte 2016 pro Quartal 6,6 Milliarden Pfund (7,7 Milliarden Euro) an wirtschaftlicher Aktivität eingebüßt hat. Wichtigster Punkt dabei sei der Absturz des britischen Pfunds. Und die Prognosen für den Fall eines Chaos-Brexits sind noch weitaus düsterer.

Es droht weiter der Chaos-Brexit

Aber was zählen all die Warnungen, wenn man das „gemeinsame Haus Europa“ (Helmut Kohl) als Gefängnis betrachtet, einem Wortführer Boris Johnson glaubt, der allen Ernstes die Entlassung britischer Sklaven aus der Brüsseler Pharaonen-Herrschaft („Let my people go“) fordert.

Es könnte dann nur passieren, dass die Geschichte über sie noch ungnädiger urteilt als über Theresa May. Weil sie unbedingt ein Loch in das Haus sprengen wollten, um zu entkommen – obwohl alle Türen offen standen.

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