Wirtschaft

Roboter und Netflix-Konkurrenz aus der Bibliothek

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Ob eigene Streamingdienste für Filme oder Lesestunden mit Robotern: Bei der Digitalisierung sind die Berliner Büchereien bundesweite Pioniere.

Lesestunde mit Roboter: Die Kinder sollen Nao6 künftig auch Vorlesen.

Selten sorgt die Neuanschaffung in einer Bibliothek für so ein Aufsehen, wie in dieser Woche in Berlin Reinickendorf. Als eine Stimme ertönt, lassen die vielen kleinen Besucher der Kinder- und Jugendabteilung in der Humboldt-Bibliothek all ihre bunten Bücher liegen und kommen angelaufen. Direkt vor dem Ausleihtresen steht ein kleiner, menschenähnlicher Roboter mit Armen, Beinen und leuchtend blauen Augen in seinem freundlichen Gesicht. „Was kann ich tun?“, fragt er. „Soll ich meine Beweglichkeit demonstrieren und spazieren oder tanzen?“ Ein Mädchen flüstert erwartungsfroh „Tanzen“. Doch Christine Bornett hört das nicht und so lässt die Leiterin der Kinder- und Jugendbibliothek den Roboter erst einmal herumlaufen.

Fast 50 Roboter in Berliner Bibliothek

Nao6 ist der neue Star in Reinickendorf, doch bei Weitem nicht der einzige Roboter. In einer Glasvitrine stehen weitere Exemplare, sie heißen „Cozmo“, „Dash“ oder „Bluebot“ und sehen aus wie elektronische Käfer oder eine Spielzeugraupe. Insgesamt fast 50 Roboter haben die Verantwortlichen angeschafft – dank eines Förderprogramms des Verbunds der Öffentlichen Bibliotheken Berlins (VÖBB).

„Es geht dabei um Coding als Sprache“, sagt Bornett. Kinder und Jugendliche sollen hier auf spielerische Art Grundprinzipien des Programmierens lernen. „Denn das ist gar kein Hexenwerk.“ Einige der einfachen Robotik-Sets können die Kinder selbst ausprobieren, wenn die Bibliothek geöffnet hat. Zudem gibt es immer Donnerstags ab 16 Uhr ein Angebot, bei dem auch Nao und andere Roboter gemeinsam programmiert werden können. „Wir setzen zudem auch auf die Zusammenarbeit mit den Reinickendorfer Schulen“, sagt Bildungsstadträtin Katrin Schultze-Berndt (CDU). Schülergruppen oder Arbeitsgemeinschaften sollen den neuen Roboter ebenfalls nutzen.

Mit den fahrenden, an Käfer erinnernden Bluebot-Robotern können schon kleine Kinder lernen, wie die Technik funktioniert. Nebenbei…

Auf dem Boden liegt eine Weltkarte, die in verschiedene quadratische Felder aufgeteilt ist. Darauf steht leuchtend der Käferroboter Bluebot. Auf seinem Rücken befinden sich Pfeiltasten, mit denen er gesteuert wird. Zwei mal rechts, einmal geradeaus zum Beispiel und dann bewegt er sich über die entsprechenden Felder. „Möchtest Du mal hier drücken?“, animiert die Stadträdtin einen kleinen Jungen. Der ruft weinend „Mama“ und läuft davon. Also probiert sie es selber. Doch statt auf der Karte dem Weg Kolumbus’ durch die Karibik zu folgen, fährt der Roboter von der Vorlage herunter. „Man muss hier drücken und erst die vorherige Eingabe löschen“, erklärt die Bibliotheksleiterin. Eigentlich kinderleicht – wenn man erst einmal weiß, wie es geht.


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Nun traut sich auch der verschreckte Junge wieder heran. Andere Kinder haben gleich weniger Scheu und streichen Nao liebevoll wie einem Haustier über den Kopf. Auch deswegen haben sie ihn angeschafft, denn die Vermittlung neuer Technologien oder von Programmiergrundlagen ist nur ein Aspekt.

Kinder sollen Roboter Vorlesen

Es gibt auch viele Verbindungen zum klassischen Sprachenlernen. Eine Überlegung ist beispielsweise, dass die Kinder dem Roboter vorlesen könnten. Was zunächst absurd klingt, hat einen ernsten Hintergrund. „Damit kann man die Hemmschwellen abbauen“, sagt Dirk Wissen, Leiter der Reinickendorfer Bibliotheken. So gibt es schon lange verschiedene Projekte, bei denen Kinder beispielsweise Hunden vorlesen. Studien belegen, dass damit die Sprachfähigkeiten von Kindern gefördert werden, die Scheu haben, laut zu lesen.

Kurz hinter Schönefeld, in der Stadtbibliothek Wildau wird das seit September ebenfalls getestet. Es ist ein Gemeinschaftsprojekt mit dem Robotic-Lab der TH Wildau. Sie haben dafür den im vergangenen Jahr erstmals vergebenen Innovationspreis der Berlin-Brandenburgischen Stiftung für Bibliotheks-Forschung e.V. erhalten. Auch in Köln gibt es schon einen Nao-Roboter in der Bücherei. „Doch wir sind jetzt in ganz Deutschland die Dritten“, freut sich Wissen.

Auch sonst gelten die Berliner Bibliotheken als Vorreiter in Sachen Digitalisierung. Bestes Beispiel ist das Projekt „Filmfriend“, ein eigener Streaming-Dienst, der im Sommer 2017 gestartet ist. Mehr als 2000 Filme und Serien sind derzeit im Angebot, der Fokus liegt dabei auf europäische Produktionen, Arthouse-Filmen und Klassikern, die bei Netflix & Co. nicht im Angebot sind. Zudem benötigen Nutzer kein Monatsabo, sondern nur einen Bibliotheksausweis.

Das Portal wurde vom Verbund der Berliner Bibliotheken in Kooperation mit der Filmwerte GmbH aus Babelsberg entwickelt. Doch es steht auch anderen zur Verfügung: Inzwischen stellen mehr als 30 Bibliotheken Filmfriend ihren Nutzern zur Verfügung, darunter Potsdam, Bremen, Düsseldorf oder Hannover.

Bibliothek startet neuen Streamingdienst für Kurzfilme

Und das Angebot wird beständig erweitert. „Wir werden demnächst das Streamingportal Ava starten“, sagt Moritz Mutter, Leiter des Projekts Digitale Welten im Bibliotheksverbund. Über Ava können dann Kurzfilme geschaut werden, die sonst auf Festivals zu sehen sind. Partner ist dabei das Berliner Kurzfilmfestival Interfilm. Im vergangenen Jahr waren schon einmal 200 ausgewählte Kurzfilme für Bibliotheksnutzer zugänglich, jedoch nur für einen begrenzten Zeitraum, zudem mussten sie dafür in die Amerika-Gedenkbibliothek oder die Berliner Stadtbibliothek kommen, wo die Filme geschaut werden konnten. Anfang 2019 sollen sie dann für alle Bibliotheksnutzer bequem zu Hause verfügbar sein. Ebenso neu geplant ist die Digital Concert Hall, über die Konzertvideos der Berliner Philharmoniker geschaut werden können.

Digitale Angebote sind gefragt. Die Zahl der ausgeliehenen elektronischen Medien, dabei insbesondere von E-Books, hat enorm zugenommen. 2017 waren es erstmals mehr als eine Million. „Während der E-Book-Markt im Handel seit einer Weile stagniert, wächst die Nachfrage bei uns Jahr für Jahr“, sagt Manuel Seitenbächer, der für das Bestandsmanagement der Bibliotheken zuständig ist.

Ausleihzahlen bei gedruckten Büchern konstant

Im Vergleich zu klassischen gedruckten Büchern ist der Anteil trotzdem gering: Mit 95 Prozent der Ausleihen liegen die deutlich vorn. Und auch trotz des enormen Zuwachses diverser digitaler Informations- und Unterhaltungsangebote innerhalb und außerhalb der Büchereien ist die Nachfrage nach klassischen Druckerzeugnissen ungebrochen: Seit zehn Jahren liegt die Zahl der in Berlin jedes Jahr ausgeliehenen Büchern bei über 23 Millionen.

Anders ist es bei Musik: Die Ausleihzahlen für CDs gehen im Jahr durchschnittlich um zehn Prozent zurück. „Bei Musik und auch Hörbüchern ist aber die Konkurrenz durch kommerzielle Streamingdienste wie Spotify schon zu spüren“, sagt Seitenbächer.

Denn im Gegensatz zu den Filmportalen wie Netflix, die auch immer nur ein eingeschränktes Angebot haben, bieten die Musikdienste extrem umfassende Kataloge an. Außerdem ist das Angebot teils werbefinanziert und für den Nutzer kostenlos.

Die Bibliotheken haben auch Musikstreaming im Angebot – umsonst und ohne Werbung. Der Dienst Naxos bietet mehr als 1,5 Millionen Klassik-Titel und Jazz-Songs. Pop & Co. gibt es über den Streamingdienst Freegal, der sogar 13 Millionen Titel bietet.

Dazu kommt nun mit Nao auch noch ein Roboter, der tanzen kann. Denn Bibliotheksleiterin Bornett erfüllt dann auch noch diesen Kinderwunsch: Der kleine Kerl hebt den Arm in die Luft und dreht ihn schwungvoll im Kreis. Die Kinderaugen leuchten fast so hell, wie die des Roboters.

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