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Sprechen wir noch wie die Nazis?

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„Eintopf“ oder „Groschengrab“: Kaum jemand weiß, dass diese harmlos klingenden Worte in der Nazi-Zeit geprägt wurden. Matthias Heines Buch über „verbrannte Wörter“ will für einen bewussten Sprachgebrauch sensibilisieren.

Wer die Worte „Gleichschaltung“, „Umvolkung“ oder „entartet“ hört, weiß sofort, dass es sich um Nazi-Terminologie handelt. Doch in der deutschen Alltagssprache werden auch Worte verwendet, bei denen niemand eine Nazi-Vergangenheit vermutet.

Da wäre zum Beispiel der Eintopf: Seit 1933 propagierten die Nazis die sogenannten „Eintopfsonntage“. Von März bis Oktober sollten alle Deutschen einmal im Monat sonntags statt des üblichen Bratens ein einfaches, in einem Topf gekochtes Gericht essen. Das gesparte Geld sollten sie dem Winterhilfswerk spenden. Zuvor gab es in deutschen Landen zwar auch schon derartige Gerichte, man benannte sie aber anders.

Autor Matthias Heine

Der saloppe Ausruf „Mädels“ erlebt derzeit eine wahre Renaissance, ob unter Freundinnen oder im Fernsehen. Dabei bezeichneten die Nazis so  junge Frauen: Der „Bund deutscher Mädel“ war 1944 die größte weibliche Jugendorganisation der Welt, und das Wort wurde so überstrapaziert, dass es 1957 in das „Wörterbuch der Unmenschen“ Eingang fand.

Heute ebenfalls im positiven Kontext benutzt: das Wort „betreuen“. Man kümmert sich um jemanden. Unter „betreuen“ verstanden die Nazis die Behandlung der KZ-Insassen – letztendlich wurde das Wort zum Euphemismus für die Ermordung zahlreicher Menschen.

Auch „Sonderbehandlung“ hat heutzutage einen freundlichen Klang. Man wird bevorzugt. Die Nazis allerdings verschleierten mit diesem Begriff ihre Taten: Wer eine Sonderbehandlung der SS erfuhr, wurde ermordet.

Historische Aufklärung 

Rund 80 Begriffe hat Matthias Heine in seinem Buch „Verbrannte Wörter: Wo wir noch reden wie die Nazis – und wo nicht“ unter die Lupe genommen. „Es geht mir nicht darum, als Sprachpolizei aufzutreten, sondern es geht um Takt, Höflichkeit, angemessenen Wortgebrauch“, so Heine. Der Autor will historische Aufklärung betreiben. „Man soll einfach diese Informationen nutzen“, sagt er, „und sich dann überlegen, ist das Wort hier richtig am Platz?“

Die Nazis prägten viele Begriffe in der deutschen Sprache

Der heutige Gebrauch mancher von den Nazis benutzten Wörter sei trotz der eindeutigen nationalsozialistischen Vergangenheit allerdings unbedenklich, wenn sie keine „Verhüllungs- oder Vorbereitungsvokabel für Mord, Folter und Vernichtung“ gewesen seien, so Heine weiter – wie im Falle des „Eintopfs“ oder beim „Groschengrab“. Mit diesem Begriff wollten die Nazis die Deutschen zum Sparen anregen. 

Besser nicht! 

Bei einer Redewendung  wie „bis zur Vergasung“ – wenn man eine Tätigkeit bis zum Überdruss betrieben hat – rät er allerdings eher davon ab, sie im täglichen Sprachgebrauch einzusetzen. Zwar lässt sich die Wendung nachweisen, bevor das erste Mal eine Gaskammer gebaut wurde. Es stammt, so Heine, „aus der Schülersprache und kommt aus der Chemie“. Er rät aber dazu: „Man sollte die Redensart wegen des für viele Menschen schockierenden Tons nur vorsichtig nutzen.“ Und in schriftlichen Texten, so Heine, sei sie „fast immer fehl am Platz“.

Gerade in politisch aufgeheizten Zeiten, in denen vorsätzlich sprachliche Tabus gebrochen werden, so das Credo des Autors, ist das Wissen um die Geschichte von Wörtern eine unbedingte Notwendigkeit.

suc/wa (sp)

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