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Merkel muss Klartextmit Putin reden

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Neuer Präsident der Ukraine stellt Minsker Friedensprozess infrage

Wofür steht der neue ukrainische Präsident Wolodymyr Selenski?

Diese Frage beschäftigt einen Tag vor dem Antrittsbesuch Heiko Maas’ in Kiew nicht nur die große Politik, sondern auch die Öffentlichkeit. Der medienscheue neue ukrainische Präsident hat der ausländischen Presse bislang kein einziges Interview gegeben.

Doch jetzt hat der 41-Jährige seinen frisch ernannten außenpolitischen Berater und Vize-Chef der Präsidialverwaltung, Vadym Prystaiko nach Berlin geschickt, um erste politische Gespräche zu führen. BILD traf den 49-Jährigen und befragte ihn zu den wichtigsten Themen des deutsch-ukrainischen Verhältnisses sowie zum bislang ebenfalls unklaren Verhältnis Selenski-Putin.

BILD: Was erwartet der neu gewählte Präsident Selenski von Deutschland?

Vadym Prystaiko: „Deutschland ist natürlich einer der Hauptprioritäten von Präsidenten Selenski. Einerseits erwartet er, dass Deutschland weiterhin die Ukraine in unserer Konfrontation mit Russland unterstützen, in erster Linie im Rahmen des Minsker Friedensprozesses. Andererseits sind wir uns sicher, dass die Hilfe Deutschlands im Prozess der ukrainischen Reformen, bei der Korruptionsbekämpfung, bei der politischen und wirtschaftlichen Annäherung an die EU nötig sein wird. Ich hoffe, Herr Selenski wird bald nach Deutschland kommen können, um Frau Merkel zu besuchen.“

Am Wochenende hat das zuständige Gericht in Hamburg entschieden, dass Russland die 24 entführten ukrainischen Seeleute sofort freilassen muss. Russland ignoriert das Urteil. Erwartet Herr Selenski mehr deutschen Druck auf Moskau, um sich an Recht und Gesetz zu halten?

Prystaiko: „Herr Selenski hat schon während seiner Kampagne gesagt, dass die Seeleute nicht Teil der Verhandlungsmasse mit Russland werden dürfen. Sie müssen ohne jede Vorbedingung sofort freigelassen werden. Deswegen begrüßen wir das Urteil des Seegerichts. Wir müssen nun mit unseren Partnern Druck aufbauen, damit das Urteil bald umgesetzt wird und unsere Landsleute frei kommen.“

Was bedeutet „Druck aufbauen“ konkret und wie kann Deutschland dabei helfen?

Prystaiko: „Deutschland kann Russland klarmachen, dass es eine Entscheidung des Seegerichts gibt und es keine andere Möglichkeit gibt, als die Gefangenen sofort freizulassen. ‚Hören Sie auf, Spielchen zu spielen‘, wäre ein Satz, den ich mir gegenüber Herrn Putin wünschen würde. Es braucht jetzt klare Botschaften an Moskau.“

Sie haben über den Minsker-Prozess gesprochen. Dieser ist seit Jahren festgefahren. Wird Herr Selenski trotzdem weiter darauf setzen oder strebt er eine alternative Lösung des Krieges in der Ostukraine an?

Prystaiko: „Herr Selenski ist ein neuer Präsident und wie jeder neue Führer eine Landes wird er die Effizienz der Schritte der bisherigen Regierung kritisch reflektieren. Er fühlt sich sicher weniger an nicht funktionierende Vereinbarungen gebunden als sein Vorgänger, der diese selbst unterschrieben hat. Gleichzeitig sieht er die Realität am Boden. Wir haben damals diesen Deal mit unserer Partnern vereinbart und müssen uns auch daran halten. Herr Selenski versucht gerade das ganze komplizierte ‚Minsker-Abkommen‘ zu verstehen und wir helfen ihm dabei. Es gibt so viele Formate, in denen wir seit Jahren versuchen, den Konflikt zu lösen. Funktionieren sie? Nein und das versteht er sehr gut. Darum wird er seine eigene Vision ins Spiel bringen, die nicht notwendigerweise innerhalb von ‚Minsk‘ stattfinden muss. Gerade jetzt versucht er die Herzen und Köpfe der Leute in den besetzten Gebiete zu erreichen. Das Schießen soll leichter unterbrochen werden, unsere Bürger sollen einfacher an ihre Renten kommen, er will den Informationskrieg um unsere Bürger in den besetzten Gebieten gegen Russland gewinnen.“

Eine aktuelle Umfrage sagt, 55 Prozent der Ukrainer wollen direkte Verhandlungen mit den Separatisten. Diese sind derzeit als „Terroristen“ eingestuft. Wird Herr Selenski mit „Terroristen“ verhandeln, wie es die meisten Ukrainer wollen?

Prystaiko: „Allgemein bedeutet, mit Terroristen zu verhandeln, seinen Kopf ins Maul der Krokodils zu stecken und das ist gefährlich. Herr Selenski weiß außerdem, dass sie keine Entscheidung selber treffen und er stattdessen mit Moskau sprechen muss. Von dort kommen die Befehle. Natürlich hört Herr Selenski, was die Menschen sagen. Aber jetzt ist er der gewählte Führer und muss Führungsstärke zeigen. Das bedeutet auch, nicht auf jede Forderung aus der Bevölkerung zu hören. Aber er muss die Menschen anführen, ihnen aktiv erklären, warum er was tut und das wird er auch machen.“

Wladimir Putin wird nachgesagt, dass er sich über neue, unerfahrene Präsidenten immer sehr freut, weil er sie als erfahrener Stratege zu „Deals“ überreden kann, die gut für den Kreml und schlecht für den Verhandlungspartner sind. Sehen Sie die Gefahr, dass Herr Putin einen für die Ukraine schlechten Deal mit Herrn Selenski abschließen will?

Prystaiko: „Natürlich sehen wir die Gefahr und ich kann Ihnen sagen, dass auch Herr Selenski die Gefahr klar und deutlich sieht. Gleichzeitig haben so viele neue Regierungen, wie auch die der USA, so viel versucht, um die Beziehungen mit Putin neu zu starten. Aber den berühmten ‚Neustartknopf‘ gibt es eben nicht und das mussten viele Regierungen schmerzvoll lernen. Putin ist eben Putin und fast alle Bemühungen um bessere Beziehungen enden in Frustration. Fragen Sie Frau Merkel, die wird Ihnen das bestätigen und ich bin mir sicher, dass sie es auch Herrn Selenski bestätigen wird. Trotzdem werden wir alles versuchen, um die Beziehungen zu verbessern. Aber wir sind nicht blauäugig.“

Letzte Frage: Herr Poroschenko war ein scharfer Gegner von Nord Stream 2, was politisch das größte Problem zwischen Deutschland und der Ukraine war und ist. Wird auch Herr Selenski aktiv gegen das Gazprom-Projekt votieren?

Prystaiko: „Wir wissen, wie unliebsam unser Widerstand gegen Nord Stream 2 ist. Trotzdem werden wir auch weiterhin versuchen, unseren Deutschen Partnern zu erklären, dass eine Verdopplung des Gasimports aus einer Quelle weder Energieunabhängigkeit noch eine Vervielfältigung der Quellen bedeutet, sondern das Gegenteil. Außerdem sprechen wir, was die Konsequenzen für die Ukraine angeht, nicht nur über zwei Milliarden Euro weniger Einnahmen pro Jahr aus dem Gastransit. Sondern, wenn der Gasfluss aus Russland nach Europa endet, müssen wir technisches Gas in unsere Pipeline leiten, damit der Druck aufrecht bleibt und das gesamte System nicht zusammenbricht. Das bedeutet riesige Kosten für uns. Darum verfolgt Herr Selenski eine Doppelstrategie. Einerseits wollen wir Nord Stream 2 verhindern und dies zusammen mit vielen EU-Partnern, die sich ebenfalls Sorgen machen. Andererseits suchen wir nach alternativen Möglichkeiten, unser Gasleitungssystem und unsere Gasspeicher-Kapazitäten zu nutzen, um vorbereitet zu sein, sollte Nord Stream 2 doch an den Start gehen.

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