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Warum Macron Weberals EU-Boss verhindern will

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Fünf Gründe, warum es für den deutschen Kandidaten immer enger wird ++ EU will bis Ende Juni neuen Kommissionspräsidenten bestimmen

Als sich die Staats- und Regierungschefs am Dienstagabend zum Arbeitsessen an einen Tisch setzten, ging es in drei Gängen um SEINE Zukunft: Europa-Politiker Manfred Weber (46, CSU) erhebt Anspruch auf den Top-Job in Brüssel, will Jean-Claude Juncker (64) als Kommissionspräsident beerben – aber er bekommt kräftigen Gegenwind auf dem Weg zu seinem Wunschposten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (64, CDU) warb zwar bei dem Sondergipfel für Weber, doch stellen sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (41) und etliche weitere EU-Staats- und Regierungschefs quer. Nun soll EU-Ratschef Donald Tusk (62) vermitteln und bis Ende Juni ein Personalpaket vorschlagen.

Das war das einzige greifbare Ergebnis des rund dreieinhalbstündigen Gipfels. Merkel räumte zum Abschluss Unstimmigkeiten ein, sagte: „Wir waren uns einig, dass wir heute noch keine Entscheidung treffen können.“ Über Namen sei bewusst noch nicht gesprochen worden.

Dabei ist die Personalfrage so delikat, dass nach Informationen von „Politico“ für die Dauer der Diskussion ein Handy-Verbot gegolten haben soll – wie bei einem Konklave im Vatikan.

Delikat war auch das Menü: Die Gesellschaft genoss einen gemischten Salat mit Melone und getrockneten Feigen, Schweinefilet mit Spargel und Bohnen, sowie Erdbeeren auf Thymian und Zitronengras.

Webers Machtanspruch stützt sich auf das Votum durch 200 Millionen EU-Bürger: Zwar hat seine konservative Parteienfamilie, die Europäische Volkspartei (EVP), bei der Europawahl nicht triumphiert. Doch mit voraussichtlich 177 Sitzen (von 751) konnten die zweitplatzierten Sozialdemokraten (148 Sitze) unter dem Niederländer Frans Timmermans deutlich in Schach gehalten werden.

Die Crux an der Sache: Bei der Besetzung des Brüsseler Top-Jobs spielen nationale Machtansprüche und institutionelle Rivalitäten mehr als eine Nebenrolle. Und selbst die Grundvoraussetzung für Webers Erfolg – die Schaffung einer Parlamentsmehrheit – wird aufgrund der Stimmenverluste beider großen Lager schwieriger denn je.

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Und dann ist da noch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der dem Niederbayern schon seit Wochen in die Kampagne grätscht, Weber als EU-Boss verhindern möchte.

Für die Europawahl hat Macron sich mit den Liberalen verbündet (ALDE), die mit seiner Bewegung La République en Marche auf 111 Sitze kommen. Die Gruppe will der dänischen Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager die Europa-Krone aufsetzen – als erster Frau. Während die meisten Fraktionen im EU-Parlament fordern, dass wie bei der letzten Wahl wieder ein EU-weiter Spitzenkandidat der Parteien bei der Europawahl nächster Kommissionschef wird, lehnen ALDE und Macron das Spitzenkandidaten-System ab.

Allerdings ist Macron selbst einer der großen Verlierer der Europa-Wahl, nachdem die Rechtsextremistin Marine Le Pen an ihm vorbeigezogen ist.

Fünf Gründe sprechen dafür, dass Weber erst nach wochenlangem Hauen und Stechen Nachfolger von Juncker und damit Chef der 320 000-Mitarbeiter-Behörde werden kann – wenn überhaupt.

1. Merkel kam geschwächt nach Brüssel

Die Kanzlerin, die zeitweise unangefochten als DIE Führungspersönlichkeit Europas galt, hat durch ihren angekündigten Rückzug an Autorität eingebüßt. Zwar setzte sie sich auf dem Sondergipfel – wie angekündigt – „natürlich“ für Manfred Weber ein. Doch bietet das Wahlergebnis vom Sonntag (historische Tiefstwerte bei CDU und SPD) ihren Gegnern Angriffsfläche.

Seit Montagabend steht außerdem fest, dass die SPD auf einen neuen Machtkampf zusteuert, in deren Verlauf die GroKo platzen könnte.

2. Österreichs Kanzler Kurz fällt als Verbündeter aus

Ausgerechnet am Tag vor der Zusammenkunft der Staats- und Regierungschefs kam Weber der engste Verbündete abhanden: Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz stürzte am Montag über ein Misstrauensvotum, nachdem seine Regierungskoalition mit der rechten FPÖ im Zuge der Ibiza-Affäre zerbrochen war.

Kurz hatte Weber immer als Ideal-Kandidat für einen Generationswechsel an der EU-Spitze bezeichnet, seinen Reformwillen und seine Bodenständigkeit gelobt.

Ein Stück weit trat dadurch in den Hintergrund, dass Ungarns Regierungschef Viktor Orbán nach seinem vorübergehenden Bann aus der EVP-Fraktion zuletzt zunehmend gegen Weber stichelte.

Ungarn, Polen, die Slowakei und Tschechien erwägen offenbar, einen eigenen Kandidaten ins Rennen schicken: Laut tschechischen Presseberichten haben sie sich auf den slowakischen Vize-Kommissionspräsidenten Maros Sefcovic geeinigt.

3. Macron wirbt geschickt um Verbündete

Macron wird seit Wochen nicht müde, seine Amtskollegen an ihr verbrieftes Mitspracherecht zu erinnern: Laut EU-Vertrag muss der Rat das Wahlergebnis zwar beachten, kann aber frei entscheiden. Und das lassen sich Politiker, wenn es um einen auf Jahre zukunftsweisenden Posten geht, in der Regel nicht zweimal sagen.

Zumal Weber – anders als Luxemburgs Ex-Premier Juncker – nicht aus ihrer Mitte stammt, keine Regierungserfahrung mitbringt. Getuschelt wird dann schon mal über die „fehlende Augenhöhe mit Trump und Putin“.

Zudem spricht Macron auch bei der Vergabe der übrigen Spitzenämter (Parlamentspräsident, Ratspräsident, der unabhängige EZB-Chef …) ein Wort mit. Am Montagabend traf er sich mit Spaniens Wahlsieger Pedro Sánchez. Doch der „schöne Pedro“, der ein Top-Amt für die „unterrepräsentierten“ Spanier will, legt sich im Machtpoker noch nicht fest, traf sich am Dienstag bilateral mit Merkel.

Der Hauptgrund, warum Macron so vehement gegen Weber argumentiert, dürfte in der Innenpolitik zu suchen sein: Die Popularitätswerte der EU sind in Frankreich im Keller. Ein Deutscher an der EU-Spitze könnte den europaskeptischen Rechts- und Linkspopulisten in Frankreich nutzen.

4. Die Parlamentsmehrheit wird kompliziert

EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber muss versuchen, eine parlamentarische Mehrheit zu schmieden. Das ginge mithilfe der Sozialdemokraten und der Grünen (67 Sitze).

Entsprechend offensichtlich hat die Charme-Offensive der Konservativen begonnen. Ein Insider zu BILD: „In Sachen Klimaschutz wird es bei der EVP viel Bewegung geben.“

Die Sozialdemokraten sperren sich, weil sie immer noch Chancen für ihren Spitzenkandidaten Frans Timmermans sehen, der bisher Junckers Stellvertreter ist: „Ich glaube, die Mehrheiten für ihn wachsen von Tag zu Tag“, sagte SPE-Fraktionschef Udo Bullmann.

Rechnerisch würde es für ein Dreierbündnis reichen, praktisch glauben viele Beobachter in Anbetracht des oft unberechenbaren Abstimmungsverhaltens: Auch die Liberalen müssten ins Boot der Pro-Europäer geholt werden, um den Kandidaten des Parlaments bei den Staatschefs durchzuboxen. Verhaken sich Fraktionen und EU-Institutionen, steht die Handlungsfähigkeit der EU auf dem Spiel. Juncker bliebe zunächst im Amt.

5. Im Hintergrund lauern „Kompromiss-Kandidaten“

Manche vergleichen den Machtpoker von Brüssel bereits mit einer Papstwahl – und weisen darauf hin, dass selten diejenigen gewählt werden, die früh ihre Machtansprüche deutlich machen.

Schon jetzt kursieren die Namen möglicher Kompromisskandidaten: Der liberale Niederländer Mark Rutte wird genannt (der allerdings die Eurowahl sensationell verlor). Auch der bisherige Brexit-Unterhändler Michel Barnier (EVP) hat seine Hoffnungen noch nicht ganz begraben, obwohl unwahrscheinlich ist, dass ihn das eigene Lager als Weber-Ersatz wählen würde.

Mehrfach gehandelt wurde auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, doch die hat einen Wechsel nach Brüssel mehrfach kategorisch ausgeschlossen.

Die EU-Staats- und Regierungschefs halten sich bei der Nachfolge von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker jedenfalls weiter die Möglichkeit offen, nicht nur Spitzenkandidaten der Parteien bei der Europawahl vorzuschlagen. Es gebe in der Frage „keinen Automatismus“, sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk am Dienstagabend in Brüssel. Es könne „niemand ausgeschlossen werden.“

Neben dem Kommissionspräsidenten müssen auch die Ämter des EU-Parlamentspräsidenten, des Ratspräsidenten, der EU-Außenbeauftragten und des EZB-Präsidenten neu vergeben werden. Tusk wolle dabei „mindestens zwei Frauen“ für die Spitzenposten finden. Für diesen Vorschlag habe es auch bei den Staats- und Regierungschefs eine „sichtbare Mehrheit“ gegeben, betonte er. „Ob es möglich ist, werden wir sehen“, schränkte er ein.

Er hoffe, dass er bis zum nächsten Gipfel am 20. und 21. Juni „Klarheit zu allen diesen Posten“ geben werde, sagte Tusk. Merkel forderte, dann müssten die Staats- und Regierungschefs „Handlungsfähigkeit“ beweisen und eine konstruktive Lösung finden.

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