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Warum sein ausspionierter Freund sich schuldig fühlt

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Seit Jamal Khashoggi (59) Anfang Oktober von einem Killer-Kommando ermordet und zerstückelt wurde, ist Omar Abdulaziz (27) der am meisten gefährdete Gegenspieler des saudi-arabischen Regimes.

Der Kritiker des Königshauses und des Kronprinzen Mohammed bin Salman (MbS, 33) zog 2009 zum Englischstudium nach Montreal (Kanada) beantragte dort später politisches Asyl. Er wurde mit provokanten Videos und scharfzüngigen Twitter-Postings (344 000 Follower) zu einem Star der Dissidenten-Szene.

Abdulaziz war mit Khashoggi befreundet. Sie tauschten innerhalb eines Jahres 400 WhatsApp-Nachrichten aus, darin schrieb Khashoggi über den Scheich in Riad: „Er ist wie ein bestialischer Pac-Man. (…) Je mehr Opfer er frisst, umso mehr will er. Ich wäre nicht überrascht, wenn die Unterdrückung auch seine Unterstützer erreicht.“

Khashoggi und Abdulaziz hatten auch Widerstands-Projekte im Königreich besprochen, wie das Rekrutieren einer „elektronischen Armee“: Eine Truppe junger, engagierter Saudis sollte als „Cyber-Bienen“ Menschenrechtsverletzungen aufdecken; Khashoggi überwies dafür 6000 Dollar.

▶︎ Der Exil-Saudi verklagte jetzt eine israelische Firma wegen des Verkaufs der militärischen Spionage-Software „Pegasus“ an Saudi-Arabien. Der saudische Geheimdienst ließ das Programm wahrscheinlich auf seinem Handy platzieren, um die gesamte Kommunikation abzuhören – darunter die Dialoge mit Khashoggi.

Spionage-Software aus Israel

Der Krimi begann Ende Juni, als der Aktivist eine Tube Protein-Pulver auf Amazon bestellte.

Abdulaziz wartete auf die Zustellung in seiner Wohnung in Sherbrooke nahe Montreal (Kanada). Er dachte sich wenig, als er eine SMS mit einem Link zur Tracking-Nummer erhielt. Das Paket sei auf dem Weg, hieß es. Dass er den Link anklickte, könnte seinen Freund Khashoggi das Leben gekostet haben.

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Denn über den Link gelangte die Spyware auf sein Handy. Mit „Pegasus“ können alle Messages überwacht, jeder am Screen getippte Buchstabe protokolliert und Smartphones sogar in aktive Abhör- und Überwachungsgeräte umfunktioniert werden, da sich Audio- und Video-Funktionen fernsteuern lassen.

Deshalb wird das Programm von der israelischen Regierung als Cyber-Waffe klassifiziert, explizite Ausfuhrgenehmigungen sind erforderlich. Dennoch erlaubten die Israelis den Verkauf der Software an Saudi-Arabien – für 55 Millionen Dollar (48 Millionen Euro).

„Die Firma hat Blut an ihren Händen“

Und Riad saß fortan in der ersten Reihe, wenn Abdulaziz mit seinem privaten iPhone seinen Widerstand gegen Scheich Salman organisierte.

„Der Saudi-Geheimdienst hatte totale Kontrolle über das Gerät“, sagte Ron Deibert, Chef des „Citizen Lab“ der University of Toronto, dessen Techniker die Installation der Spyware entdeckt hatten, zu BILD.

Die Uni-Forscher hatten in den letzten Jahren die Daten-Infrastruktur für den Betrieb von Pegasus vermessen, plötzlich blinkte ein infiziertes Handy auf ihrem „Radarschirm“ in der Provinz auf. „Wir hatten keine Nummer, kaum Infos, aber wir vermuteten, dass es entweder ein Dissident oder ein Journalist sein dürfte“, saget Deibert: „Wir mussten uns auf die Suche nach der Person machen wie Detektive.“ Nach Gesprächen in der „Szene“ stießen sie auf Abdulaziz.

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„Er fiel aus allen Wolken“, erinnert sich Deibert. Auch der IT-Experte kritisiert die Verbreitung der Spionage-Software: „Die Firma hat hier Blut an ihren Händen.“

Das Abhören des Smartphones blieb für Abdulaziz nicht ohne Konsequenzen: Binnen Stunden wurden bei einer nächtlichen Razzia mit Spürhunden in Saudi-Arabien seine zwei Brüder und mehrere Freunde verhaftet. Er könne auch seine Mutter nicht mehr erreichen, sagte er zur TV-Station CBC.

Die Brüder sind bis heute in Haft, ohne Anklage.

Besuch aus der Botschaft

Der lange Arm der Schergen von Mohammed bin Salman hatte Abdulaziz bereits vor der Cyberattacke erreicht: Zwei Abgesandte der Botschaft hatten ihn im Mai persönlich getroffen. Sie sprachen von zwei Szenarien: einem, in dem Omar ein „Gewinner“ würde, wenn er sich zur Rückkehr entschließe. Und ein zweites, in dem er sich weigere und zu „einem Verlierer“ würde, da er „im Gefängnis landet“.

Neben der Drohung wollten die zwei Abgesandten den Dissidenten mit der Aussicht auf eine großzügige Entschädigung ködern. Sie versprachen ihm, dass er – sollte er am nächsten Tag einen Flug in die Heimat nehmen – nach der Landung den Kronprinzen persönlich treffen könnte.

Makaber klingt der Vorschlag der Diplomaten: Abdulaziz könnte in der Saudi-Botschaft in Ottawa vorbeischauen, um ausstehende Details seiner möglichen Heimkehr zu besprechen … Er lehnte ab.

Abdulaziz fühlt sich mitschuldig

Abdulaziz fühlt sich heute mitschuldig am Tod von Khashoggi, er glaubt, dass MbS das Mordkomplott letztendlich vor allem wegen der privaten Kommentare des Regimekritikers geschmiedet habe, die schärfer waren als die Formulierungen in Kashoggis Veröffentlichungen.

Das ist auch die Stoßrichtung von Menschenrechtsanwalt Alaa Mahajna, der die Klage gegen die Firma NSO Group und die israelische Regierung eingebracht hatte. In der Klageschrift heißt es: Der Austausch zwischen Abdulaziz und dem Journalisten habe in „bedeutender Weise zur Entscheidung beigetragen, Herrn Khashoggi zu ermorden“.

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