Politik

„Gratulieren wir bald auch Nordkorea?“

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Steinmeiers Glückwunsch-Telegramm an die Mullahs im Iran sorgt für Irritationen und Kritik in der deutschen Politik.

Gitta Connemann (54), Fraktionsvize der CDU/CSU-Bundestagsfraktion schreibt in einem zweiseitigen Brief (liegt BILD vor) an das Bundespräsidialamt:

„Sehr geehrter Herr Bundespräsident, bei allen diplomatischen Gepflogenheiten, wie können Sie als Staatsoberhaupt einem solchen Regime gratulieren? Egal ob Nationalfeiertag oder Revolutionsjubiläum. Zwar bitten Sie im letzten Absatz Ihres Schreibens, das Regime den Dialog mit der Opposition zu suchen. Angesichts der Menschenrechtsverletzungen, Gleichstellungsfragen, Demokratiedefiziten, Drohungen gegen Israel, Terror und alltäglicher Gewalt, müssen diese Worte verfolgten Oppositionellen im Iran wie Hohn klingen.“

Beim Iran handele es sich um ein „menschenverachtendes Regime“. Connemann schließt den Brief mit den Worten: „Nicht in meinem Namen!“

BILD fragte alle ordentlichen Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags an – also Deutschlands wichtigste Außenpolitiker. Was halten Sie von dem Telegramm? Und sollte ein Bundespräsident überhaupt so deutlich zu aktuellen außenpolitischen Fragen wie dem Atom-Deal Stellung beziehen?

Deutliche Kritik kommt unter anderem aus der Union: „Ich war erstaunt über die Glückwünsche, insbesondere wenn man sich vor Augen führt, wie sich das Land seit dieser Revolution entwickelt hat“, sagt CSU-Außenpolitiker Alexander Radwan und fragt: „Ist jetzt davon auszugehen, dass auch Länder wie Saudi-Arabien und Nordkorea auch im Namen aller Deutscher solche Grüße bekommen?“

Der Wortlaut von Steinmeiers Glückwunsch-Telegramm:

„Zum Nationalfeiertag der Islamischen Republik Iran übermittle ich Ihnen, auch im Namen meiner Landsleute, meine herzlichen Glückwünsche.

Die bilateralen Beziehungen unserer Länder sind traditionell eng und bauen auf einer breiten Grundlage auf. Gerade mit Blick auf die zahlreichen Konflikte in der Region und die globalen Herausforderungen wollen wir den Dialog zwischen Iran und Deutschland sowie den europäischen Partnern weiter intensiv pflegen. Nur mit gemeinsamen, konstruktiven Anstrengungen aller Beteiligten werden wir die Krisen und Konflikte überwinden können. Deutschland wird darüber hinaus weiterhin tun, was in seiner Macht steht, um die Bewahrung und die fortgesetzte Umsetzung des JCPoA sicherzustellen.

Anlässlich dieses für die Islamische Republik Iran so wichtigen Feiertages möchte ich Sie dazu ermutigen, auch die kritischen Stimmen in Ihrem Land anzuhören und mit ihnen einen offenen Dialog zu ihren Anliegen und Sorgen zu führen.“

„Völlig unangebracht“, findet auch CDU-Politiker Nikolas Löbel die Glückwünsche: Seit der islamischen Revolution stelle der Iran zunehmend eine Gefahr für die westliche Welt dar – „wer es ernst meint, dass die Sicherheit Israels deutsche Staatsräson ist, der darf nicht solch ein Glückwunschschreiben an den Todfeind Israels senden“.

Löbel weiter: „Der Bundespräsident hat repräsentative Aufgaben. Er sollte in diesen Zeiten vor allen Dingen integrativ nach innen wirken und das politische Geschäft dem Parlament und der Regierung überlassen.“

Frank Steffel (auch CDU) legt nach: „Ich halte die Aussage des Bundespräsidenten für politisch falsch, aber es ist selbstverständlich sein Recht, zu politischen Fragen seine Meinung zu äußern.“

Jürgen Hardt (CDU), Sprecher des Auswärtigen Ausschusses, nimmt Steinmeiers Schreiben zwar als „diplomatisch üblich“ in Schutz, nennt Irans Präsidenten aber einen „Diktator“: „In dem Gratulationsschreiben des Bundespräsidenten kommt es besonders auf den letzten Satz an, in dem er den iranischen Präsident Rohani auffordert, auch mit den kritischen Stimmen im Land in Dialog zu treten“, sagt Hardt. „Eine solche Offenheit des Diktators Rohani gegenüber Andersdenkenden ist im Iran bitter nötig.“

  • Telegramm an die Mullahs

    DAS hätten Sie schreiben sollen, Herr Steinmeier!

    Steinmeiers Gratulations-Telegramm an die Mullahs sorgte für Kritik. BILD hat einen Brief verfasst, der besser gepasst hätte.

Frank Müller-Rosentritt (FDP) übte schon am Mittwoch gegenüber BILD scharfe Kritik: „Dass der Bundespräsident zum Jahrestag einer Revolution gratuliert, die Menschen zur Flucht aus ihrer Heimat veranlasst hat und deren Protagonisten ihre Bevölkerung bespitzeln, unterdrücken und einschüchtern, ist ein bemerkenswerter Vorgang.“ Und weiter: „Für unsere Freunde in Israel, die ständigen Vernichtungsdrohungen seitens des Iran ausgesetzt sind, muss sich das im Übrigen wie eine schallende Ohrfeige anfühlen.“

Auch FDP-Politikerin Renata Alt hätte Steinmeier eher zu „diplomatischer Zurückhaltung“ geraten, gerade angesichts aktueller Umbrüche im Iran. „Wenn der Bundespräsident sich schon äußert, wäre es wichtig, dabei explizit auch Menschenrechtsbewegungen wie ,White Wednesday‘ (Anti-Kopftuchzwang-Bewegung im Iran, Anm.d.R.) zu unterstützen.“

Ulrich Lechte (FDP) erinnert daran, dass es zwar dem „Procedere“ des Bundespräsidialamts entspräche, Glückwünsche zu Nationalfeiertagen zu verschicken. „Dennoch muss man das nicht zu jeder Gelegenheit tun“, meint der FDP-Politiker.

„Die iranische Revolution hat zu Krieg und Gewalt in der Region geführt und bis heute leiden tagtäglich Tausende Menschen unter dem repressiven Mullah-Regime Teherans. Der Bundespräsident hätte als gewiefter Diplomat auf dieses Schreiben einfach verzichten sollen.“

FDP-Politiker Alexander Kulitz hält die Glückwünsche zwar für eine Frage des Anstands, betont aber die verfassungsrechtliche Frage, ob der Präsident unabgesprochen seine Glückwünsche mit politischen Wünschen verknüpfen darf. Das sei mit einem klaren „Nein“ zu beantworten, sagt Kulitz. „Soweit der Bundespräsident sich aktiv in die Außenpolitik einmischen möchte, bedarf er einer politischen Legitimation, die aus einer Parlamentsmehrheit oder zumindest mittelbar durch vorherige Zustimmung der Regierung als Exekutive erfolgen muss. Als Bundespräsident ist Herr Steinmeier nicht mehr unser Außenminister.“

Der kritische Dialog mit dem Iran sei zwar wichtig, aber „dazu gehört es definitiv nicht, dass ein deutscher Bundespräsident dem Regime zum 40. Jahrestag seiner Machtergreifung gratuliert“, sagte der außenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion Bijan Djir-Sarai. „Ein wenig mehr diplomatisches Feingefühl und Distanz wären an dieser Stelle angebracht gewesen.“

AfD-Mann Petr Bystron fasst sich kurz: „Steinmeier völlig daneben: Keine Gratulation an Israelhasser! Er ist eine Falschbesetzung für das Amt.“

„Bismarck hätte es ebenso gesehen“

Auf die BILD-Anfrage meldeten sich aber auch einige Ausschuss-Mitglieder zu Wort, die Steinmeiers Grußkarte in Schutz nehmen:

„Es ist bewährte diplomatische Gepflogenheit. Bundespräsident Steinmeier sprach ja auch kritische Punkte an“, sagte Roderich Kiesewetter (CDU).

Roland Hartwig (AfD) sieht in den Glückwünschen einen Beitrag, gute Kommunikationswege zu schaffen und aufrechtzuerhalten. „Außenpolitik ist in erster Linie Realpolitik.“ Gerade wenn man politischen Zielsetzungen anderer Länder kritisch gegenüberstehe, sei das besonders wichtig.

„Als Mann der AfD stehe ich sicherlich nicht im Verdacht, ein großer Freund und Anhänger des Herrn Bundespräsidenten Steinmeier zu sein – vieles an seiner Amtsführung ist schwach und kritikwürdig“, leitet Waldemar Herdt (AfD) seine Antwort ein. Er halte es allerdings nicht für richtig, „gegen die eigene Überzeugung jede Gelegenheit zu nutzen, ihn zu kritisieren: Im vorliegenden Fall möchte ich Herrn Steinmeier ausdrücklich in Schutz nehmen! Er hat, diplomatischem Brauch folgend, einem Staat, zu dem wir diplomatische Beziehungen pflegen, zum Nationalfeiertag gratuliert.“

  • Reaktionen auf Gruß an Mullahs

    „40 Jahre Terror-Sponsoring sind kein Grund zum Feiern“

    Steinmeiers Grußbotschaft zum 40. Jahrestag der Islamischen Revolution sorgt weltweit für Verwunderung und Kopfschütteln.

  • Reporter ohne Grenzen

    Geheime Akten belegen die Mord-Justiz der Mullahs

    Zehntausende politische Gefangene, Massenhinrichtungen, Folter: Ein Datensatz belegt jetzt die Verbrechen des Iran-Regimes.

Zu diplomatischen Beziehungen gehöre auch ein gewisser Austausch von höflichen Freundlichkeiten. „Wer damit nicht leben möchte, müsste schon die diplomatischen Beziehungen zum Iran abbrechen – mit allen, auch wirtschaftlichen, Folgen. Dies wäre allerdings ein erster Schritt weg vom Prinzip der Nichteinmischung und hin in Richtung Interventionismus. Ich bin kein Interventionist! Außenpolitik muss mit kühlem Kopf betrieben werden, nicht mit ,heißem Herzen‘. Ich denke, ein Bismarck hätte es ebenso gesehen“, schließt der AfD-Politiker.

Auch von den Linken kam Zustimmung: Kathrin Vogler kritisierte, dass sich Steinmeiers Glückwunschschreiben „überhaupt nicht für eine Skandalisierung“ eigne. Zum Inhalt gebe es „einen breiten politischen Konsens im Bundestag“.

Stefan Liebich, außenpolitischer Sprecher der Linken-Fraktion, findet es „normal und richtig“, wenn der Bundespräsident anderen Staaten zu deren Jubiläen gratuliert. Das Festhalten am Atomabkommen werde auch von seiner Fraktion unterstützt, Kritik übt man eher am „völkerrechtswidrigen Ausstieg der USA“. Deshalb habe die Linke auch hier keine Kritik am Bundespräsidenten geübt, sagt Liebich, und weiter: „Ich finde es gut, dass er auf die kritischen Stimmen im Iran hinweist und Dialog einfordert.“

Linken-Parteigenossin Heike Hänsel ergänzt: „Bei dem Jahrestag der islamischen Revolution handelt es sich um den Nationalfeiertag des Iran. Es entspricht den diplomatischen Gepflogenheiten, dass ein Bundespräsident zum Nationalfeiertag eines Landes gratuliert.“
Sollte sich der Bundespräsident so deutlich zu aktuellen außenpolitischen Themen (JCPoA) äußern und positionieren? „Wenn diese Äußerungen zu mehr Verständigung und Frieden beitragen, begrüße ich sie.“

Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion verweist ebenfalls auf die „diplomatischen Gepflogenheiten“ und zieht als einziger die ungewöhnliche Schlussfolgerung, dass der Bundespräsident damit „vor allem seinen Respekt gegenüber dem iranischen Volk“ ausdrücke. Und weiter: „Mit seinem Bekenntnis zum Nuklearabkommen (JCPoA) gibt er die große Einigkeit der EU-Mitgliedstaaten in dieser Frage wieder. Auch daran gibt es nichts zu beanstanden.“

Auch Barbara Hendricks (SPD) sieht keinen Grund zur Beanstandung: „Selbstverständlich kann und darf sich der Bundespräsident zu außenpolitischen Themen äußern, hat dies in diesem Zusammenhang aber nicht getan. Der Bundespräsident hat – wie es üblich ist – der Republik Iran zum Nationalfeiertag und eben nicht zur Revolution gratuliert.“

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