Politik

May kam, krächzte und kassiert die nächste Klatsche

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Unterhaus stimmt mit 149-Stimmen-Mehrheit erneut gegen ihr Abkommen mit der EU

Quelle: Reuters
1:59 Min.

Sie kam, krächzte – und kassierte die nächste Klatsche im britischen Parlament. Um 20.22 Uhr war klar: Der ganze Kampf von Premierministerin Theresa May (62, konservative Tories) war – zumindest vorläufig – umsonst. Und auch die monatelangen Verhandlungen mit Brüssel.

Mays Brexit-Deal mit der EU fiel am Abend trotz Nachbesserungen ein zweites Mal im Unterhaus durch. Es gibt also zunächst kein Ausstiegsabkommen zwischen Großbritannien und der EU – obwohl das Ausstiegsdatum, der 29. März, näher rückt. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte eine „dritte Chance“ ausgeschlossen – was nun?

Die Abgeordneten stimmten am Abend mit 242 Stimmen zu 391 GEGEN Mays Deal – eine Niederlage von 149 Stimmen!

Nur ein kleiner Achtungserfolg: Im Januar hatte sie mit 202:432-Abgeordneten-Stimmen noch viel klarer verloren.

Beobachter halten ihren Deal nun dennoch für endgültig gescheitert. Auch der britische Oppositionsführer Jeremy Corbyn erklärte das Abkommen für erledigt: „Ihr Vertrag, ihr Vorschlag, jener der Premierministerin, ist eindeutig tot“, sagte er.

EU bedauert erneute Ablehnung

Die Europäische Union nahm das Votum des britischen Parlaments mit Bedauern auf. Auf Seiten der EU sei alles mögliche unternommen worden, um ein Brexit-Abkommen zu erreichen, erklärte ein Sprecher von EU-Ratspräsident Donald Tusk. Das Votum erhöhe die Wahrscheinlichkeit eines ungeregelten Austritts „deutlich“.

Eine heisere Theresa May hatte zuvor ihren Deal mit mehrmals brechender Stimme vor dem Unterhaus verteidigt: „Brexit could be lost“, der Brexit könnte dann verloren sein. Denn kein Abkommen könne am Ende bedeuten: kein EU-Austritt.

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Reaktionen auf das Votum

▶︎ Außenminister Heiko Maas (SPD) hat enttäuscht auf die erneute Ablehnung des Brexit-Abkommens im britischen Unterhaus reagiert. „Mit dieser Entscheidung rücken wir einem No-Deal-Szenario immer näher“, erklärte Maas am Dienstagabend. Wer das Abkommen ablehne, spiele „auf fahrlässige Weise mit dem Wohl der Bürgerinnen und Bürger ebenso wie der Wirtschaft.“

Maas hoffe, dass ein ungeregelter Brexit in den kommenden 17 Tagen noch vermieden werden könne. „Das britischer Unterhaus hat es selbst in der Hand“, fügte er hinzu.

▶︎ Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer, nannte die Ablehnung des Deals eine „herbe Enttäuschung“. „Die Gefahr des ungeregelten EU-Austritts und der damit einhergehenden wirtschaftlichen und rechtlichen Unsicherheit schwebt weiter über der Wirtschaft.“ Deutsche Unternehmen hätten keine Planungssicherheit im Großbritannien-Geschäft.

▶︎ Auch Paris reagierte enttäuscht. „Frankreich bedauert die heutige Abstimmung“, hieß es in einer Mitteilung des Präsidentenpalasts am Dienstagabend. Man könne nun aber „unter keinen Umständen“ eine Verlängerung des Verhandlungszeitraums ohne eine alternative, glaubwürdige Strategie Großbritanniens akzeptieren. Das Austrittsabkommen sei nicht neu verhandelbar, so der Élysée.

▶︎ Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zeigte sich offen für eine Verschiebung des Brexits um ein paar Wochen, um einen ungeordneten Austritt Großbritanniens aus der EU zu vermeiden. „Dieses erneute negative Parlamentsvotum bringt uns schon gefährlich nahe an das Brexit-Datum, ohne ein ordentlich vorbereitetes Austrittsszenario fertig zu haben“, sagte Kurz der österreichischen Nachrichtenagentur APA am Dienstagabend.

▶︎ Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger rechnet damit, dass Großbritannien den Austritt aus der Europäischen Union verschieben will. „Dann werden wir sehen, welche Gründe dafür angegeben werden, und die werden wir wohlwollend prüfen.“

Oettinger zeigte sich optimistisch, dass es mit Hilfe einer Fristverlängerung noch zu einer Billigung des Brexit-Abkommens kommt. „Es gibt in jedem Parlament Bewegung, auch im britischen Unterhaus.“ Er habe außerdem den Eindruck, dass immer mehr Briten bewusst werde, welchen „grandiosen Schaden“ der Brexit in Großbritannien verursachen könne. „Das könnte noch für Überraschungen sorgen im britischen Parlament.“

Der Brexit-Krimi geht in die Verlängerung

Klar ist erstmal nur so viel: Der Brexit wird mit großer Wahrscheinlichkeit verschoben. Morgen (Mittwoch) stimmen die Abgeordneten im Unterhaus zwar über die Möglichkeit eines No-Deal-Brexits am 29. März ab. Doch selbst ein Großteil der Brexit-Fans im Parlament sieht darin ein riskantes Horror-Szenario. Eine Mehrheit dafür scheint ausgeschlossen, obwohl Theresa May keinen Fraktionszwang ausüben will.

Brexit-Experte Prof. Iain Begg von der London School Of Economics zu BILD: „Ich schätze die Wahrscheinlichkeit, dass kein Deal zustande kommt, auf unter 5 Prozent“.

Experte: Rücktrittsdruck auf May steigt

Steckt Großbritannien jetzt in einer Staatskrise: „Ja, es wird jetzt zu einer tiefgreifenden konstitutionellen und politischen Krise“, sagt der Experte, der auch Theresa Mays politische Zukunft in Frage stellt: „Sie wird jetzt viel stärkerem Rücktrittsdruck ausgesetzt als bei ihrer ersten Schlappe im Januar.“

Aber: Einen Automatismus zum Rücktritt gibt es nicht, und andere Experten trauen May noch immer einen Triumph im dritten Anlauf vor.

Clemens Fuest vom Ifo-Institut tippt: Mit einer Wahrscheinlichkeit von 60 Prozent wird das Unterhaus in weniger als zwei Monaten ein weiteres Mal über Mays Deal abstimmen. Und diesmal werde May sich durchsetzen.

„Heute war nur zehn vor zwölf, May wartet aber bis fünf vor zwölf“, erklärt Fuest BILD.

Allerdings: Oppositionschef Jeremy Corbyn (Labour-Partei) brachte noch am Abend nach der Niederlage Neuwahlen als möglichen Ausweg aus der Blockade ins Spiel.

Brexit-Experte Nicolai von Ondarza von der Stiftung Wissenschaft und Politik glaubt, dass die Verlängerung wesentlich länger andauern wird – und dass die EU versuchen wird, in dieser Zeit den Brexit an sich in Frage zu stellen.

Laut EU-Seite kann die Übergangszeit nur bis maximal Ende Mai verlängert werden. Als allerletzte Frist gilt Anfang Juli, wenn sich das neu gewählte EU-Parlament konstituieren wird. Sollte Großbritannien die Frist verlängern wollen – was hieße, länger in der EU zu bleiben – müsste das Land noch einmal an den Wahlen zum EU-Parlament teilnehmen.

Der Mann, der Mays Hoffnungen zerstörte

Mann des Tages war der britische Generalstaatsanwalt, der die Regierung juristisch berät: Geoffrey Cox. Er hatte schon einmal in einem Gutachten festgestellt, dass das Abkommen das Risiko berge, Großbritannien durch die Backstop-Lösung dauerhaft an die EU zu binden.

Mit Blick auf die neue Einigung mit der EU war seine Einschätzung mit Spannung erwartet worden, da sie potenziell viele skeptische Abgeordnete hätte umstimmen können.

Doch Cox, der politisch für das Abkommen warb, kam juristisch zur fast gleichen Einschätzung wie zuvor: Der Backstop berge das Risiko, Großbritannien am Ende in der Zollunion festzuhalten, auch wenn die jüngsten EU-Zugeständnisse dieses Risiko etwas gesenkt hätten.

Am Mittwoch und Donnerstag stehen nun weitere wichtige Abstimmungen im Unterhaus an. Am Mittwoch wollen die Parlamentarier über eine Vorlage abstimmen, mit der ein harter Brexit ohne Austrittsvertrag abgelehnt wird. Am Donnerstag könnten sie dann darüber befinden, ob das für 29. März geplante Austrittsdatum verschoben werden soll.

Dies gilt als sehr wahrscheinlich.

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